Ein Neuanfang auf Kreta

Die schwarz gekleidete Witwe zögerte nicht lange, schlüpfte in die Rolle der Krankenschwester und erklomm mit Hilfe ihres Holzstocks die Treppen zum Studio. Im ersten Augenblick dachte ich dem Tod persönlich ins Antlitz zu blicken, als ich aufwachte und die schwarze, runzlige Maria neben meinem Bett stehen sah. Sie befahl mir, mich auszuziehen und rieb mich von Kopf bis Fuß mit Petroleum ein, was ihrer Meinung nach die beste Medizin gegen Fieber sei. Andere Frauen im Dorf setzen üblicherweise lieber auf die Schlagkraft von Rakí-Schnaps als Fiebersenker. Ob es der Schreck oder die Wirkung des Petroleums war oder ob die Grippe von selbst wieder vorbeiging, kann ich nicht mit Sicherheit sagen; Fakt ist jedoch, dass ich bereits wenige Stunden nach der Petroleumabreibung wieder auf die Beine kam.



Als uns meine Schwester Anita mit ihrer Familie auf Kreta besuchte, unternahmen wir gemeinsam eine Wanderung in einer abgelegenen Schlucht, um die Abenteuerlust ihres Mannes Tamas und dem kleinen Sohn Elio zu befriedigen. Auf halbem Weg stießen wir auf ein eineinhalb Meter großes Hindernis in Form eines riesigen Felsens, der im Flussbett thronte. Das Klettern war nicht einfach, da der Stein feucht vom Flusswasser war, aber mit gemeinsamer Anstrengung schafften wir es, uns gegenseitig hochzuziehen. Obwohl Lara es gar nicht mochte, hochgehoben zu werden, versuchte ich sie in meine Arme zu locken, um sie auf den Gipfel des Felsens zu hieven. Das lehnte sie energisch ab. Stattdessen holte sie Anlauf, sprang bis zur Hälfte des Brockens, federte mit ihren kurzen Beinen ab, ließ ihren kleinen Körper nochmals in die Höhe schnellen, krallte sich mit ihren weißen Pfoten oben fest und zog sich mit einer ungeheuren Energie hoch. Unseren Beifall hatte sie mehr als verdient, und die Wandergruppe konnte weiterziehen.
Etwa ein Jahr lang lehrte mich Lara die Hundesprache, Loyalität und bedingungslose Liebe. Dann verschwand sie eines Tages und das brach mein Herz. Ich kann es noch immer nicht akzeptieren, dass sie weg ist, hoffe so sehr, dass sie noch lebt und dass es ihr gut geht und dass sie eines Tages, wie durch ein Wunder, wieder bei uns auftaucht.


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Autorenporträt Catia Letizia
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Pressemitteilung
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Artikel Griechenland Zeitung
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